Neulich rief eine ehemalige Klassenkameradin an und wir haben lange erzählt über die gemeinsame Schulzeit, die Lehrer, was uns beeindruckte und prägte.
Da fiel er mir wieder ein: Immer hatte er einen schwarzen Anzug an, mit forschem Schritt ging er durch die langen Gänge der Schule. Er war klein, ein wenig dick und rauchte Zigarre. Ich mochte ihn, sehr sogar. Er hatte es geschafft, sich in mein Herz zu unterrichten. Er war viel unterwegs in der Welt, hatte manches gesehen und Interessantes zu erzählen. Ungerechtigkeiten machten ihn zornig und er konnte mächtig schimpfen, sich mit Leidenschaft für Dinge einsetzen und kämpfen. Er war unser Religionslehrer, ein katholischer Dechant. Und wir waren eine Mädchenklasse auf einem Mädchengymnasium: albern, ständig vor uns hin kichernd und höchst anstrengend.
So habe ich es jedenfalls in Erinnerung. Warum ich katholischen Religionsunterricht hatte, weiß ich nicht mehr, aber es war für mich genau das Richtige. Wer von uns evangelisch oder katholisch war, war überhaupt nicht wichtig für ihn. Er hat versucht, uns zum Nachdenken zu bringen. In unserem eigenen Glauben sollten wir zu Hause sein. Und den, unseren eigenen Glauben, sollten wir erst einmal finden! Wenn eine von uns Sorgen hatte war das wichtiger, als sein Lehrplan, er nahm uns ernst, uns und unsere Fragen. Und er nahm viele unserer Sorgen mit nach Hause und brachte sie in der nächsten Woche wieder mit: „Ich habe noch einmal nachgedacht, man könnte das auch so sehen…“ Wo er war, war er ganz, ganz bei uns im Unterricht und ganz bei seiner Gemeinde, wenn er Gottesdienst hielt. Er liebte das Leben, hat gerne gegessen und geraucht, war aber auch jederzeit bereit, zu gehen. Er wusste ja genau, wohin er gehen würde. Aber jeder Tag war für ihn etwas Besonderes und er hat mir ohne Worte beigebracht, dass das Wissen um den Tod für unser Leben ungeheuer wichtig ist: nur dann können wir es genug wertschätzen und genießen.
Nach dem Abitur fing ich an, Theologie zu studieren und machte mich auf die Suche nach meinem ehemaligen Lehrer. Gern hätte ich ihn wiedergesehen und ihm gesagt, dass er großen Anteil an meiner Berufswahl hat. Aber er war plötzlich gestorben. Manchmal denke ich an ihn.
Das geht wohl nicht immer, jederzeit bereit zum Abschied zu sein, so wie er es war und lebte. Was er mir mitgegeben hat: Das Leben nicht immer auf morgen zu verschieben, gute Momente zu genießen und durch die schweren hindurchzugehen. Und vor allem: Miteinander zu leben, die Fragen der anderen hören und ihre Probleme ernst zu nehmen. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90,12)
Pfarrerin der Katharinengemeinde Bahrdorf