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13.09.2024 Kategorie: Wort zur Zeit

Du stellst meine Füße auf weiten Raum

Wort zum Sonntag von Propst Dr. Ulrich Lincoln

Liebe Leserinnen und Leser
ich kann mich gut an den Moment erinnern: An den Augenblick, als unsere Tochter laufen lernte, als sie zum ersten Mal selbst auf den eigenen zwei Beinen ein paar wackelige Schritte ging.
Es war in unserer Küche. Sie war 11 Monate alt, und an diesem Morgen wollte sie es wissen. Sie stellte sich hin mit meiner Hilfe, zuerst hielt ich sie noch einen kurzen Augenblick an den Händen, bis sie richtig gut und fest stand, und dann ließ ich los. Und sie hielt die Balance und machte dann ein paar Schritte vorwärts, bis sie am Küchentisch ankam und sich dort festhielt. Und dort plumpste sie erst einmal wieder auf die Erde, um zu verschnaufen. Zwei Meter, eine kleine Strecke für die Menschheit, aber eine große Strecke für dieses Menschenkind.
Solche Geschichten können alle Eltern erzählen. Für mich ist es eine Erinnerung an die Kraft des Vertrauens. Denn was sonst soll es gewesen sein, dass dieses kleine Mädchen dazu geführt hat, diesen großen Schritt in eine neue Welt zu wagen? Obwohl sie das Wort Vertrauen noch gar nicht sagen konnte, bin ich doch sicher, dass sie tatsächlich ganz viel davon in sich hatte: das Vertrauen, dass es gelingen könnte; dass sie es lernen würde; dass sie Hilfe bekommen würde dabei; dass die Eltern sie auffangen, falls sie hinfällt.
 „Vertrauen ist der Anfang von allem“, so lautete einst die Werbung einer Bank. In der Bibel findet sich ein ähnlicher Satz: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Ein kleiner Mensch, der eines Tages auf eigenen Füßen in die Welt geht. Ein großer Mensch, dem es guttut zu wissen, dass manchmal die Füße mehr verstehen als der Kopf. Vorsichtige Schritte, mutige Schritte – im Losgehen liegt der Segen.

Foto: Ryan McGuire auf pixabay